Persönlich war die Literatur-Nobelpreisträgerin 2009 gestern zwar nicht in der Aula des Seminars St. Matthias anwesend, doch die beiden Referenten, das Ehepaar Dr. Jean Ritzke-Rutherford und Karl Ludwig Ritzke gewonnen hatten sich Person und Werk Herta Müllers vorgenommen – ein in jeder Hinsicht faszinierendes, aber auch anstrengendes Unterfangen. Der Leiter der Fachschaft Deutsch Manfred Ingerl begrüßte im Namen von Schulleiter Claus Pointner und Seminardirektor Martin Schnirch Schüler, Lehrer und zahlreiche Gäste: „Diesmal ist die Frucht der Vorbereitung zum Thema eine ‚harte Nuss’.“ Ingerl betonte die Wucht der Sprache Herta Müllers.
„Wir kamen über die Ackermann-Gemeinde zu Herta Müller und waren von Beginn an fasziniert von ihrer Lebensgeschichte, die so spannend wie ein Thriller ist“, sagte Jean Ritzke. Die gebürtige Amerikanerin ist promovierte Anglistin und wirkt derzeit als ehrenamtliche Sprachdozentin am Ostkirchlichen Institut Regensburg. Ihr Mann unterrichtete bis zu seiner Pensionierung Latein und Religion und betreut seit vielen Jahren eine Schulpartnerschaft mit einem Gymnasium im rumänischen Sibiu/Hermannsstadt. Er stellte die Landschaft des Banat vor, mit Hilfe des Banater Autors Eginald Schlattner, und würdigte die Aufbauleistung der Banater Schwaben, die von Ulm aus mit ihren ‚Donau-Schachteln’ hier siedelten. Im Januar 1945 eroberte die Rote Armee das Gebiet, und alle deutschen Männer zwischen 18 und 45 wurden in sowjetische Lager deportiert.
Und hier setzt das Werk Herta Müllers an: Sie beschreibt Menschen und Stimmungen, etwa in „Niederungen“. Jean Ritzke analysierte kenntnisreich und einfühlsam Sprache und Inhalt, und ihr Ehemann Karl rezitierte gekonnt die passenden Textstellen. „Vom Schweigen zur Sprachkunst – das ist der literarische Weg Herta Müllers, im Kampf gegen den Würgeengel des Staates“, und Müller gehe dabei detailgetreu und zugleich schonungslos mit ihrer Banater Welt ins Gericht. „Die Folge waren große Spannungen zwischen der Autorin, ihrer Familie und den Menschen in Rumänien“, so Jean Ritzke. „Herta Müller wurde ihr Leben lang betrogen, ausgespitzelt, als Fremdling diskriminiert.“Kein Wunder, dass sie stets schwarz gewandet ihr Gegenüber, auch den Leser, verunsichert, provoziert. Vor allem mit ihrem Nobelpreis-Roman „Atemschaukel“, den sie zusammen mit ihrem Freund, dem rumänendeutschen Lyriker Oskar Pastior (er starb 2006) schrieb, schildert sie aus der Perspektive des Mannes die Jahre der Vertreibung, Unterdrückung, Demütigung.
„Der Roman ist deprimierend, aber auch voller Hoffnung, ein Sieg der Menschlichkeit.“ Und als Müller vom Nobelpreis erfuhr, meinte sie, dass das Glück sich wohl zu ihr verirrt habe.
Die Fragerunde ging Leben und Werk nach, aber auch Textdetails wie etwa dem „Gruppenpieseln“. Und Karl Ritzke betonte, dass es Müllers Verdienst sei, Denk- und Redeprozesse in Gang gesetzt zu haben, die vorher nicht möglich, nicht denkbar waren. Eine anstrengende, doch faszinierende Lesung der anderen Art, und Manfred Ingerl sah darin eine „Motivationsinfusion für den Leser“.
Dieter Klug
Quelle: Isar-Loisachbote, Nr. 272 vom 25.11.2011, Lokales S. 8
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