Predigt am 4. Sonntag im Jahreskreis Lj. B – gehalten von Pfr. Martin Schnirch am 29.01.2012 in Waldram

Liebe Schwestern und Brüder!

Ist das nicht eine Provokation für alle Eheleute?
Der Verheiratete ist „geteilt“?
Sind die verheirateten Männer und Frauen weniger wert
als die unverheirateten?

Ist die Ehe also etwas für die,
die es nicht schaffen
ohne Frau oder Mann zu leben?

Der Teil aus dem ersten Korintherbrief,
den wir vorhin gehört haben,
trägt in der Einheitsübersetzung die Überschrift
„Ehe und Jungfräulichkeit“.

Und ganz richtig,
kann und will dieser Text Anlass dazu geben,
über Ehe und Jungfräulichkeit als Lebensstile nachzudenken.

Jeder muss sich irgendwann in seinem Leben
für einen Lebensstil entscheiden.
Jeder muss irgendwann sagen:
Ich will heiraten,
Familienvater oder -mutter werden,
oder: Ich will als Priester,
Ordensmann oder -frau in einer Gemeinschaft leben.
Oder: ich will oder muss unverheiratet bleiben
und allein leben
– wie auch immer.

Nicht selten werden in Diskussionen
diese verschiedenen Möglichkeiten
nicht nur nebeneinander gestellt
oder einander gegenüber gestellt.
Manchmal werden sie auch gegeneinander aufgewogen:
Die eine sei dem Menschen angemessener
oder die andere dem, der Jesus nachfolgen will, entsprechender.

Allein die Diskussion über den Zölibat
scheint ja nicht abzureißen.
Ich möchte diese Diskussion hier gar nicht weiterführen.

Stattdessen möchte ich den Blick
auf einen scheinbaren Nebensatz lenken,
den Paulus an die Korinther schreibt:

„Das sage ich…,
damit ihr in
rechter Weise und ungestört
immer dem Herrn dienen könnt.“ (1Kor 7,35)

Paulus will den Christen in Korinth keine Bürde aufbinden,
sondern helfen,
dass sie frei sein
und in rechter Weise und ungestört
immer dem Herrn dienen können. (vgl. 1 Kor 7,35)
Auch der übrige Text des ersten Korintherbriefes
macht das deutlich.

Es geht Paulus darum,
dass wir Christen ganz Christus dienen sollen
und können.

In egal welcher Lebensform,
der Ehe oder einer ehelosen Lebensform,
geht es darum,
ganz Christus zu dienen.

Dass der Unverheiratete dazu wahrscheinlich mehr Freiheit hat,
als der, der sich in der Ehe an seine Frau und Familie gebunden hat
und „ihr gefallen“ will (vgl. 1 Kor 7,33),
ist logisch.

Doch auch der Verheiratete soll vor allem Christus dienen.

Und der, der sich für die Ehelosigkeit entscheidet,
muss sich ebenso fragen:
Will ich Christus dienen?
Oder ist es einfach offensichtlich leichter und freier Single zu sein?
Übrigens bedeutet Ehelosigkeit nicht unbedingt Single!

Vor über 21 Jahren habe ich bei meiner Diakonenweihe
die Ehelosigkeit um des Himmelreiches Willen versprochen.
Und je länger ich in dieser Lebensweise lebe,
umso mehr lerne ich,
dass es darauf ankommt,
dem Herrn
– Christus –
zu dienen.

Mein geistlicher Begleiter,
der mich auf die Idee gebracht hat, Priester zu werden,
hat mir oft gesagt:
„Du musst wissen und merken, dass Jesus dich liebt.“
Ich habe das als Jugendlicher nicht wirklich verstanden.
Doch heute weiß ich, was er damit gemeint hat:
Ich darf und muss wissen,
dass mich Jesus Christus ganz in seiner Hand hält,
hält und trägt,
und dass alles, was ich tue,
ein Dienst an IHM ist
oder zumindest sein soll.

Um für diesen Dienst frei zu sein,
freier als es ein Verheirateter sein kann,
kennt die Kirche die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen
und die Jungfräulichkeit.
Dabei geht gar nicht darum, allein zu leben,
ohne Bindung an andere Menschen.
Und es geht erst recht nicht darum,
nicht Mann oder Frau zu sein.
Im Gegenteil.
Auch ein zölibatär lebender Mann will und kann Vater sein.
Freilich nicht im körperlichen,
doch aber im geistlichen Sinn.

Es geht also um die Freiheit für Christus.
Die kann übrigens auch durch andere Dinge
als durch Frau und Kinder eingeschränkt werden.

Ich erlebe immer wieder,
wie sich fixe Ideen,
eigene Wünsche und Vorstellungen,
die Arbeit
und viele andere Dinge in die Beziehung zu Christus einmischen,
ja sie zu verdrängen suchen
und so die Freiheit für Christus rauben können.

Also ist auch der Unverheiratete,
der Zölibatäre,
nicht davor gefeit,
seine Freiheit für Christus
zu verlieren.

Obwohl,
oder vielleicht gerade weil ich zölibatär zu leben versuche,
habe ich allergrößten Respekt
und allergrößte Hochachtung
vor den Eheleuten, die versuchen als Ehemann und Ehefrau,
als Vater und Mutter
frei für Christus zu sein, wirklich ein christliches Leben zu führen.

Sie müssen versuchen,
obwohl da ja die Freuden und Sorgen der Partnerschaft
und des Familienlebens ständig leibhaft vor ihnen stehen,
die Freiheit für Christus zu behalten.
Ich kenne beeindruckende Männer und Frauen,
die das leben.

Und ebenso wie diese stellen zölibatär Lebende,
Ordensfrauen und -männer,
gottgeweihte Jungfrauen
und Menschen, die noch auf der Suche nach ihrer Lebensform sind,
Christus an die erste Stelle.

Dabei muss klar sein, dass
weder die Ehe
die Lebensweise für Leute ist,
die nicht ohne Partner leben können,
noch ist die Ehelosigkeit
die Lebensform für Leute,
die zur Ehe unfähig sind.

Vielmehr ist es Aufgabe aller Christen,
egal welchen Standes,
„immer dem HERRN zu dienen“. (vgl. 1 Kor 7,35)
Also frei zu sein für IHN.

Das ist es,
was die Kirche mit dem Begriff „Jungfräulichkeit“ in seiner Tiefe meint.
Kann nicht auch ein Verheirateter „jungfräulich“ leben?

Der Begriff „jungfräulich“ klingt heute sehr eingeschränkt auf Sexualität.
Dabei geht es zuerst um etwas ganz anderes:
Um die Freiheit für Christus,
um die Unbedarftheit
und Unvoreingenommenheit
für die Begegnung
und das Leben mit IHM.

Wenn ein Mann und eine Frau
miteinander die Ehe eingehen,
dann wird ihnen die Frage gestellt,
ob sie bereit sind,
Christus in ihre Beziehung mit hinein zu nehmen.
Und wenn einer zum Priester geweiht wird,
wird er gefragt,
ob er Christus an die erste Stelle stellen will.
Und wenn jemand ein Ordensgelübde
oder die Jungfrauenweihe ablegt,
dann ist ebenfalls die wichtigste Frage:
Willst du Christus an die erste Stelle in Deinem Leben stellen?

So sind christliche Ehe und ehelose Lebensformen
immer der Versuch
einer positiven Antwort auf die Frage:
Soll Christus die Mitte Deines Lebens sein?

Deshalb müssen wir uns alle immer wieder fragen:
Diene ich immer dem HERRN?
Bin ich frei für Christus?