Auf Vermittlung der Ackermann-Gemeinde München und vor allem unter Mithilfe Rudolf Baumgartls machte die Schriftstellerin Ilse Tielsch im Rahmen ihrer Lesereise für ihr neues Buch "Das letzte Jahr" am Donnerstag im Gymnasium und Kolleg St. Matthias in Waldram Station – ein schöner Mosaikstein im Rahmen des 50. Geburtstags Waldrams. Die SchülerInnen der Oberstufe, aber auch zahlreiche Gäste lauschten konzentriert. Es folgen noch Lesungen in Regensburg, Landshut und München, bevor die Autorin wieder nach Wien zurückkehrt.
Ilse Tielsch kam 1929 in Auspitz in Südmähren zur Welt und schildert aus der Sicht der zehn Jahre alten Elfi Zimmermann das letzte Jahr vor Ausbruch des 2. Weltkriegs. Ein Grundthema ist der Verlust von Heimat, und als die Sechzehnjährige Ilse vertrieben wird, lernt sie vom Vater: "Man kann, ohne seine Wohnung zu verlassen, zuerst österreichischer, dann tschechoslowakischer, dann deutscher, dann überhaupt kein Staatsbürger mehr sein." Neben Passagen aus "Das letzte Jahr" las Tielsch eine Auswahl ihrer Gedichte: "Von der Größe der Zeit" lebt von der Binsenweisheit, dass die Zeit immer größer, die Menschen aber immer kleiner werden, "Erben" berichtet davon, dass der Grossvater am Isonzo gefallen, der Vater bei Stalingrad verscharrt ist, der Sohn für die Enkel überlebt ("Wehre dich, armer Enkel!"). Tielsch bietet durchgängig einfühlsame Lyrik, menschlich, politisch, provokativ –  Gedichte einer Frau, die hellwach und mutig ihr Leben als eigene Chronistin beleuchtet, damit aber auch den vielen stummen überlebenden Stimme verleiht.
Souverän wählt Ilse Tielsch ihre Texte aus (Von ihren zahlreichen Werken ist derzeit leider nur "Das letzte Jahr" lieferbar.), passt sie Winterwelt und Auditorium an, das lauschte – man hätte eine Stecknadel auf den Teppich fallen hören. Und als weißes Häubchen gab’s zum Schluss den "Novemberschnee". Ehrlich, einfühlsam und mit viel Gespür für die historischen Gegebenheiten bricht die Autorin eine Lanze für all die Menschen, die als Vertriebene, als Entwurzelte oder an Leib und Seele zu Schaden Gekommene nur schwer verzeihen, nur schwer oder gar nicht vergessen können. Für diese Zeitzeugen gibt es keinen Schlussstrich, sondern nur ein Leben mit der Vergangenheit mit all dem Leid und allem Schmerz. Und ihre Hoffnung gilt der Jugend: "Gott sei Dank gehen die jungen Menschen heute anders miteinander um. Wir können unsere Hoffnung nur in die jungen Menschen setzen."
Geduldig beantwortete Ilse Tielsch Fragen, signierte Bücher und sparte auch nicht am Lob: "Interesse und Konzentration der SchülerInnen haben mich tief beeindruckt und gefreut." Und so wurde diese Lesung für alte und junge Zuhörer zu einer ganz besonderen Deutsch- und Geschichtsstunde.

Isar-Loisachbote, 19.11.2007, Nr. 266, S.7