Liebe Schwestern und Brüder!

Kennen Sie sich selbst?

Sie werden vielleicht sagen:
Sicherlich!

Niemand weiß so gut wie ich,
wie es mir gerade geht
und was ich brauche.

Kein anderer kennt meine Gefühle und meine Gedanken
so gut wie ich.

Doch dann
schauen Sie doch einmal bewusst in den Spiegel.

Was sehen Sie da?

Ihr Verstand wird Ihnen sagen:
Ich sehe mein Spiegelbild.

Und wenn Sie beim Hineinschauen in den Spiegel
Ihr Gesicht verändern,
dann können Sie die Veränderung sehen.

Doch kennen Sie das Gesicht,
das Sie da anschaut?

Vielleicht geht es Ihnen ja beim Schauen in den Spiegel
auch so wie mir:
Das Gesicht, das mich da anschaut,
ist mir nicht vertraut.

Ich weiß wohl,
wie meine Nase aussieht und meine Augen,
in welchen Gegenden ich Falten habe
und wo mein Gesicht ein bisschen zu rund ist.

Doch so richtig vertraut
ist mir mein Gesicht nicht.

Und diese Erkenntnisse über mein Gesicht
verdanke ich ja schon dem Blick in den Spiegel.

Die anderen sehen ständig mein Gesicht.

Die kennen es
– je besser sie mich kennen –
um so genauer.

Die können vielleicht sogar in meinem Gesicht lesen.

Und wenn mich jemand wirklich gut kennt,
dann kann er mir sogar vieles am Gesicht ablesen.

Ich habe Ihnen zum Beginn der Fastenzeit
einen kleinen Spiegel ausgeteilt.

Mit diesem Spiegel
mag ich zusammen mit Ihnen bedenken,
was die Chance dieser Fastenzeit ist.

Schon häufig habe ich Menschen geraten, sich
– so wie sie sind –
vor den Spiegel zu stellen.

Der ehrliche Blick in den Spiegel
lässt uns Dinge an uns selbst sehen,
die die anderen schon längst entdeckt haben
und die ich selber vielleicht allzu gerne übersehe,
ignoriere
oder schönrede:

meine O-Beine,
meinen zu großen Bauchansatz,
meine schlechte Laune,
mein zu großes Mundwerk,
meinen Egoismus,
meine Rücksichtslosigkeiten,
meine Gier,
die Show, die ich oft spiele.

All das
und noch vieles andere,
gehört auch zu mir.

Der ungeschminkte Blick in den Spiegel
hilft mir zur Ehrlichkeit
und die ist der erste Schritt zur Besserung.

Und nebenbei gesagt:
Die anderen haben vieles
– was ich einfach nicht sehen mag –
schon längst erkannt.

Als gläubiger Christ weiß ich,
dass Gott mich auf alle Fälle schon längst durchschaut hat.

Und dass er mich trotz der O-Beine,
obwohl ich den Bauchansatz nicht wegbringe,
und mit meinen anderen Fehlern
unendlich liebt.

ER hat mich schon durchschaut,
längst bevor ich es wahr haben will.

Die Fastenzeit
will uns die Gelegenheit geben
uns anschauen zu lassen

und uns selber anzuschauen.

Ehrlich und liebevoll.

Und sie will uns die Gelegenheit zur Veränderung geben.

Vielleicht wird es mir nicht gelingen,
mein Leben komplett umzukrempeln.

Aber
wenigstens in einem kleinen Punkt
könnte ich mich doch zu ändern
– zu verbessern –
versuchen.

„Kehrt um!“
So lautet die zentrale Botschaft in der Fastenzeit

μετανοεῖτε
– genau übersetzt:
Ändert euren Sinn.

Durch Wegschauen,
durch Augenverschließen,
durch „Passt scho!“
wird das nicht gelingen.

Aber der Blick in den Spiegel,
die Gelegenheit mich anzuschauen
und von Gott
  und auch von anderen Menschen
anschauen zu lassen,
ist der erste Schritt zur Besserung.

Der zweite Schritt ist
es zuzugeben und mich zu dem zu bekennen,
was ich durch den Blick in den Spiegel erkannt habe.

Der Dritte (mit Rücksicht auf meine Schwachheit)
wenigstens EINE (KLEINE) Sache ändern.

Mich total umzukrempeln wird nicht gelingen.

Aber mit dem Ändern ist es,
wie wenn Sie an einem Tischtuch
an irgendeiner Stelle ziehen:

Es ändert sich die Lage des ganzen Tuches.

– um ein konkretes Beispiel zu nennen:

Vielleicht hat der „Blick in den Spiegel“
zu der Erkenntnis geführt,
dass ich oft launisch oder patzig zu anderen bin.

Könnte es da nicht hilfreich sein,
in die Begegnungen mit anderen
mit einem bewussten positiven Gedanken
hineinzugehen?

Oder könnte es nicht hilfreich sein,
morgens ein wenig früher aufzustehen,
um bei den Begegnungen ausgeschlafener
– wacher –
zu sein?

Als Pfarrer und als Schulseelsorger
habe ich häufig zur Beichte eingeladen.

Zur Vorbereitung habe ich den Kindern,
den Jugendlichen
und den Erwachsenen
einen „Beichtspiegel“ ausgeteilt.

Einen Zettel mit Fragen,
die dazu helfen sollten,
das eigene Leben genauer anzuschauen.

Zu überlegen:

  • Wie bin ich mit mir selbst umgegangen?
  • Wie war mein Leben mit den anderen?
  • Wie bin ich mit meiner Umwelt umgangen?
  • Wie war mein Verhältnis zu Gott?

Der ehrliche Blick in den Spiegel
kann den Anfang zur Umkehr setzen.

In den Spiegel hineinschauen muss jeder selbst.

Die ungeschminkten Erkenntnisse sehen und zugeben
muss jeder für sich.

Und auch das Bemühen um die Veränderungen
kann ich nicht auf andere abschieben.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen
– jedem und jeder Einzelnen –
einen erfolgreichen Blick in den Spiegel.

Echte und gute Erkenntnisse.

Und Mut, Kraft und Durchhaltevermögen
bei den anstehenden Veränderungen.

– Übrigens
denen,
die diese Schritte nicht nur in ihren Gedanken machen möchten,
– die sie begleitet machen möchten
– oder konkret aussprechen möchten,
empfehle ich ausdrücklich die Beichte oder das geistliche Gespräch.

Ich wünsche uns allen
eine fruchtbare Fastenzeit!