Zur Eröffnung und Einstimmung auf das Seminar „Versöhnung und Heilung“ konnte der Hausherr des Seminars St. Matthias, Seminardirektor Martin Schnirch, der die neue Aula zur Verfügung stellte, die Autorin Alexandra Senfft begrüßen. Sie las aus ihrem Werk „Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte“.
Im Foyer empfing die Gäste eine kleine Ausstellung über das DP-Lager Föhrenwald, die Marianne Balder in Kooperation mit dem Heimatmuseum zur Verfügung stellte. Pfarrer Schnirch gab mit Unterstützung von Bildern des Waldramer Chronisten Hans Buder einen knappen Abriss über die Geschichte und Entwicklung von Föhrenwald/Waldram, und die Organisatorin Brigitta Mahr gab der Hoffnung Ausdruck, „dass mit Hilfe des Buches ein offener und ehrlicher Dialog eröffnet wird“.
Alexandra Senfft wurde diesen in sie gesetzten Erwartungen mehr als gerecht. Ausgehend vom Titelbild, das Ihre Mutter Erika als kleines Mädchen vor Adolf Hitler stehend zeigt, las sie den Prolog: „Die Nacht, in der meine Mutter starb, erscheint mir bis heute wie ein übler Traum.“ Die Mutter war Tochter von Hitlers Gesandten in der Slowakei, Hanns Ludin, der in dieser Funktion für die Deportation und Ermordung von 70.000 Juden verantwortlich zeichnete, sich nach Kriegsende den Tschechen stellte und zum Tod durch den Strang verurteilt und gehängt wurde. Erika, schwer traumatisiert, wurde später Alkoholikerin und gab den Staffelstab der Traumatisierung an ihre Tochter Alexandra weiter. Senfft konstatiert: „Ich habe meine Mutter zu Lebzeiten vieles nicht gefragt, so dass ich das familiäre Schweigen fortgesetzt habe.“ Das Buch durchbricht dieses Schweigen und lindert beim Leser den Schmerz, wenngleich die Lektüre sehr ergreifend, aber auch bedrückend ist. Der tragische Tod der Mutter, verursacht durch die mit kochend heißem Wasser gefüllte Badewanne, ließ Alexandra mit Bergen ungeordneter Briefe, Fotos und Dokumente allein. Ihre Großmutter sah in ihrem Mann nur „einen der vielen unschuldigen Nazis“, und „in unserer Familie herrschte immer eine intensive Abwehr gegen alles Böse“, so die Autorin.
Im weiteren Verlauf schilderte Senfft die Geschichte ihrer Mutter Erika, die nach der Hinrichtung ihres Vaters das Internat Salem verlassen muss und in den frühen 50er Jahren von NS-Seilschaften, darunter Hans Gmelin, dem Vater von Herta Däubler-Gmelin, aufgefangen und gefördert wird. Ergreifender Höhepunkt der Lesung war das Schlusskapitel „Am Abgrund“, das mit der Beerdigung Erikas einsetzt. „Meine Mutter hat Zeit ihres Lebens versucht, das zerrissene Abbild ihres Vaters wieder zusammenzufügen. Wäre es ihr gelungen, so hätte es ihr geholfen, zur Ruhe zu kommen; doch diese Gnade konnte oder sollte sie nicht erfahren.“ Und am Ende bleiben nur Trauer und Schmerz um die Opfer des Holocaust.
In der anschließenden Diskussion sprach die Autorin davon, dass sie „in einer schwarzen Wolke der Mutter aufgewachsen“ sei. „Ich habe erst mit der Arbeit an dem Buch verstanden, in welchem Familiengefängnis meine Mutter Erika aufgewachsen ist.“ Und auf die Frage, ob sie Erleichterung und Entlastung durch das Buch erfuhr, erwidert sie: „Von der Vergangenheit kann man sich nicht befreien, nur von der Last des Schweigens.“
Quelle: Isar-Loisachbote, 02.03.09, Nr. 50, Lokales S. 6