Prof. Volker Ladenthin (Bonn) zu Gast beim „Forum Waldram“

Am Montag, 22.01.2018, machte ein hochkarätiger Wissenschaftler in St. Matthias Station: Der Bonner Erziehungswissenschaftler Prof. Volker Ladenthin referierte zum Thema „Bildung nachgefragt – Wo Kompetenzen enden und Bildung anfängt“ zur geistigen Situation der Zeit.

Ralf Wiechmann und Mitinitiator Manfred Menke konnten nicht nur viele Lehrer und Schüler von St. Matthias begrüßen, auch viele Gäste aus der Nachbarschaft, von Nachbarschulen oder aus Politik und Wirtschaft waren in die Waldramer Aula gekommen. Ladenthin führte das Auditorium präzise und strukturiert durch den „Dschungel der Kompetenzbegriffe“, eingebettet in eine knapp-geraffte Geschichte der erziehungswissenschaftlichen und philosophischen Ansätze zum Kompetenzbegriff seit den 50er Jahren. Für den ‚Fachler‘ war manches bekannt, die anderen konnten anhand von Thesen und Zitaten der komplexen Materie ‚kompetent‘ folgen.

Hat Heinrich Roth 1971 den Begriff noch auf die Mündigkeit bezogen – Schüler sollen urteilen, handeln, zuständig sein können –, schlug ausgerechnet die OECD später vor, den Leistungsbegriff eben durch Kompetenzen zu ersetzen – „eigentlich nicht Aufgabe der Schule“, so Ladenthin. Denn bei einem derartigen Erziehungsansatz besteht die Gefahr, dass „Kinder zwar alles können, aber nichts mehr wissen“. Die Arbeit der Schule endet im Chaos – ganz im Gegensatz zu den Zielen Wilhelm von Humboldts.

Wer heute von Kompetenz spricht, so Ladenthin, will den radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Es geht dabei um eine Abkehr vom klassischen Bildungsideal hin zu einer reinen Aneignung von wirtschaftlich verwertbaren, vergleichbaren Kompetenzen. Und noch schlimmer: Die Europäische Union ließ in einem „Referenz-Rahmen“ die Maske fallen: Kompetenzen dienen der Anpassung an den Wandel, um ‚kompetente‘ Arbeitskräfte (gleichsam als ‚Arbeitssklaven‘) zu generieren – immer im Blick auf Wettbewerb, Vergleichbarkeit und Flexibilisierung. „Bildung als Anpassung bedeutet den Bruch mit Bildung, mit Humboldt, mit Aufklärung“, so der Erziehungswissenschaftler. Mit dem Ziel einer ‚McDonaldisierung‘ deutscher und europäischer Arbeitnehmer, d.h. einer Anpassung an globale Bedingungen, sei Schule dann nicht mehr Ort der Weitergabe von Kultur. „Unter der Perspektive gesellschaftlicher Entwicklung ordnet sich dieser Ansatz in die Theorie des Humankapitals ein“ zitierte Ladenthin die Initiatoren der PISA-Studie. „Welchen Ertrag bieten uns unsere Kinder? Wenn diese Frage auch von Eltern gestellt wird, müssen alle Alarmglocken schrillen!“ Das Orwellsche Szenario moderner Dystopien (negativer Utopien) fragt dann nur noch nach Effizienz, Quantifizierbarkeit, Voraussagbarkeit – am Ende steht die absolute Kontrolle vereinheitlichter Mitarbeiter.

Zum Schluss beleuchtete Ladenthin die pädagogischen Implikationen. „Motivation lernen – damit erhebt man Motivation zum Unterrichtziel, benotbar, unabhängig von Inhalten.“ Gemessen wird nicht, ob der Schüler motiviert ist, sondern, ob er sich motivieren kann – egal wofür. Damit werde der so gebrauchte Kompetenzbegriff hochgefährlich, weil Mittel zur Gehirnwäsche. Die negative Beugung des Kompetenzbegriffs zeigt sich nach Ladenthin zudem in dem Anspruch, dass sich alles modularisieren lässt. Kompetenzorientierte Lehrpläne für das Fach Religion zielen auf Kompetenzen der Verständigung, Selbstreflektion, Weltdeutung usw. Aber ist derjenige, der sich verständigen, sich selbst reflektieren und die Welt deuten kann, so Ladenthin, automatisch religiös? „Am Ende braucht man dann keine überzeugten, glaubenden Religionslehrer mehr, sondern nur noch Motivationspsychologen!“ Und am Ende steht dann die Frage, ob man in der Schule Religiosität messen kann: „Schule hat damit ein weiteres Mal keine Heimat mehr für Kultur – alles ist vor der Folie einer ‚Taylorisierung der Arbeit‘ und einer externen Evaluation unterworfen.“

Im Rahmen einer knappen, aber sehr intensiven Aussprache unter der Moderation von Ralf Wiechmann bekannte sich der Münsteraner ehemalige Schüler der Overberg-Schule (also quasi auch ein Spätberufener im Sinne von St. Matthias) unter anderem zu diesen Maximen:

  •   „Katholische Schulen müssen das benennen, was die Gesellschaft vergisst, sie müssen Fächer und Stoffe anbieten, die es woanders nicht gibt.“
  •   „Am Ende müssen die Schüler das verantwortungsbewusst leben, was sie an einer – hier katholischen – Schule gelernt haben.“
  •   „Der Wertbezug bei allem Gelehrten und Gelernten muss immer deutlich werden.“
  •   „Ein Kind ist nicht weniger wert, nur weil es Autist ist.“
  •   „Der Sinn von Kindheit ist Kindheit – so Jean-Jacques Rousseau.“

Und nicht zuletzt:

  •   „Wir dürfen Kindern nicht die Kindheit stehlen.“

Fazit: Ein Abend, den die Teilnehmer so schnell nicht vergessen werden. Und ein Vortrag, der zum Nach- und Weiterdenken anregt, Anlass zu Diskussionen und (Streit-)Gesprächen gibt. Beim anschließenden gemütlichen Plausch bei Getränken und kleinem Abend-Büffet hörte man nicht nur einmal, dass es solche Abende des ‚Forums Waldram‘ öfter geben sollte.

Dieter Klug