Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, stellt sich den Fragen der Schüler
Am 27. Oktober 2023 nahm sich der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth (SPD) eine Stunde Zeit für eine Video-Schaltung zwischen Bad Hersfeld, seinem Wahlkreis, und St. Matthias. Schulleiter Ralf Wiechmann hatte zuvor alle Hebel in Bewegung gesetzt, um der Schulgemeinschaft auf diese Weise Gelegenheit zur Aufarbeitung des dramatischen Geschehens zu bieten.
Zunächst umriss der Außenpolitiker in einem Statement seine Sicht zur schlimmen und hochkomplexen Lage: Er sprach von „brutalstmöglichem Terror“ der Hamas, der sich bewusst gegen Zivilisten gerichtet habe.
Er lehnte es daher ab, bei dieser Auseinandersetzung irgendeine Vorgeschichte gelten zu lassen. Die Hamas erkenne nicht nur das Existenzrecht Israels nicht an, sie wolle vielmehr die Vernichtung des Staates Israel. Für Verhandlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehle den Israelis, der einzigen Demokratie in diesem Raum, der Gesprächspartner. Es sei richtig, die Finanzierungshilfe der EU auf humanitäre Mittel zu beschränken. Denn anstatt Schulen, Krankenhäuser, Straßen und eine Wasserversorgung einzurichten, haben die Hamas, die im Gaza-Streifen das Sagen hat, sich in der Vergangenheit mit den internationalen Mitteln des Entwicklungsaufbaus ein Waffenarsenal beschafft. Man dürfe aber die Hamas nicht mit den Palästinensern gleichsetzen.
An den Deutschen sei es zum jetzigen Zeitpunkt, dem befreundeten Israel Trost und Verständnis entgegenzubringen und mit besserwisserischen Ratschlägen zurückhaltend zu sein.
Anschließend beantwortete der Fachmann für Außenpolitik zahlreiche Fragen der Schüler, als erste die nach der Rolle Deutschlands und der EU in diesem Konflikt. Der Bundestagsabgeordnete äußerte sein Bedauern darüber, dass es in der EU keine einheitliche Position in dieser Frage gebe. Deutschland stehe aus historischer Verantwortung an der Seite Israels, während andere Staaten, z.B. Spanien, eher auf Seite der Palästinenser stehen. Die engsten und glaubwürdigsten Freunde der Israelis bleiben die USA, die daher den mächtigsten Einfluss auf die israelische Regierung besitzen. Unmittelbar nach dem Terroranschlag hätten rege diplomatische Bemühungen eingesetzt. So führten auch unser Bundeskanzler und die Außenministerin in den umliegenden arabischen Staaten Gespräche, um zur Eindämmung des Konflikts beizutragen.
Der SPD-Politiker forderte die Schülerinnen und Schüler auf, sich durch unterschiedliche und vielfältige Medien, nicht nur aus dem Internet, über die Entwicklung in diesem Konflikt zu informieren, um sicherzugehen, auf keine Falschmeldung hereinzufallen; denn Kriege würden nie nur mit militärischen Waffen geführt.
Freilich musste Michael Roth zugeben, dass die sonst so zuverlässigen öffentlich-rechtlichen Medien bei der Frage der Rakete auf das palästinensische Krankenhaus Fehlinformationen aufgesessen seien. Er mahnte die Schülerinnen und Schüler, gegen Terror und Antisemitismus Flagge zu zeigen und nicht kritiklos den Parolen hinterherzulaufen, wie Israel sei ein Kolonialstaat oder es gehe hier um einen berechtigten Befreiungskampf der Palästinenser.
Daher habe er kein Verständnis für die unbedachten Äußerungen des UNO-Generalsekretärs Antonio Guterres, der damit den Terror der Hamas relativiert und insinuiert, dass die Reaktion Israels darauf unangemessen sei. So werde die Opfer- und die Täter-Rolle umgekehrt.
Die Solidarität der arabischen Nachbarstaaten mit den Palästinensern fehle: Der Iran befeuere den Konflikt mit Waffenlieferungen an Hamas und Hisbollah. Die Palästinenser könnten Gaza nicht verlassen, weil Ägypten keine Flüchtlinge einreisen lassen wolle, die das Gedankengut der Muslimbrüderschaft wieder ins Land brächten. Dabei war diese Organisation dort vor kurzem erst verboten worden, weil sie Unruhen geschürt habe. Der Libanon und Jordanien auf der anderen Seite seien angesichts der Masse an syrischen Flüchtlingen nicht mehr in der Lage, weitere aufzunehmen. Und schließlich sei es durchaus auch das Interesse der Hamas, dass die Grenzen geschlossen bleiben, so dass Bilder entstünden, die das Leid der Zivilbevölkerung der Weltöffentlichkeit in mitleiderregender Art vor Augen führen
Auf die Frage nach der ausbleibenden Bodenoffensive antwortete der erfahrene Politiker, dass die Regierung Netanjahu in einer Zwickmühle stecke: Sie wolle das Leben der 225 Geiseln nicht gefährden und natürlich auch das Risiko ziviler Opfer minimieren. Auf der anderen Seite müsse sie dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der eigenen Bevölkerung Rechnung tragen und die terroristische Organisation ein für alle Mal unschädlich machen.
Michel Roth sieht am Ende des Konflikts immer noch die Zwei-Staaten-Lösung, auch wenn der Weg dorthin äußerst kompliziert sei: Dass es zwischen den beiden Territorien, die den Palästinensern bisher zugewiesen sind, keine Verbindung gebe, halte er für äußerst unbefriedigend. Auch die Frage nach dem künftigen Status von Jerusalem sei komplex: Die Stadt wird von den Israelis als Hauptstadt betrachtet. Ostjerusalem wird von den Palästinensern beansprucht. Schließlich gilt die Stadt als Zentrum der Christenheit.
Seine ernsten Ausführungen schloss Michael Roth mit dem wenig erfreulichen Eingeständnis, dass er keinen unmittelbaren Ausweg aus der Krise sieht, dass er aber hoffe, dass der Konflikt sich nicht ausweiten werde. Er habe Verständnis für die Zerstörung der Hamas als Terrororganisation, befürchte aber, dass der alte Hass der Araber durch die Gegengewalt Israels auf die nächsten Generationen weitergetragen werde.
Mit einem Dank an den Politiker für seine klaren Erläuterungen beendete Schulleiter Ralf Wiechmann die Video-Übertragung, die alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer nachdenklich zurückließ und teilweise noch zu Gesprächen anregte.
In einer ersten Reaktion auf die furchtbaren Meldungen vom 7. Oktober aus Israel hatte sich die Schulgemeinschaft bereits am 16.10. zu einem gemeinsamen Morgengebet im Foyer der Schule eingefunden, das von Matthias Deiß, dem religionspädagogischen Leiter von St. Matthias vorbereitet worden war.
Thomas Erhard